FWSV
25. Januar 2021

dlh News vom 25.01.2021

Standortgerechte Lösungen für Hamburgs Schulen

Lehrkräfte, Pädagogen und Schulleitungen haben unter Corona-Bedingungen viel geleistet. Sie stehen im laufenden Schuljahr vor enormen zusätzlichen Herausforderungen …

 

Der Fachbereich GStSo-Schulen des VBE formuliert Mindest-Forderungen, um Schulen sicherer zu machen und weitere Schulschließungen in 2021 zu vermeiden.

Mit Ratlosigkeit und Enttäuschung hatte die Lehrerschaft den Kleinmut in den Beschlüssen der Kultusminister verfolgt, mit großem Unverständnis aber stand sie im Dezember vor den Entscheidungen der Schulbehörde. Starres Festhalten am Regelbetrieb und Präsenzunterricht führten zu erheblichen Gesundheitsrisiken und Vertrauensverlusten in Hamburger Bildungseinrichtungen.

Einmütig appellierten Lehrkräfte und Verbände an den Schulsenator, Maßnahmen zum Schutz aller Beteiligten umzusetzen, Mitarbeiter und Schulleitungen gleichermaßen zu entlasten und konkrete Perspektiven für das kommende Schuljahr zu entwickeln. Bei den Bemühungen die Schulen längst möglich offen zu halten und einen geregelten Schulbetrieb zu ermöglichen, fehlte es an einzelnen Standorten an den konkreten Absprachen wie bei erhöhtem Infektionsgeschehen zu verfahren ist zwischen Behörde und Schulleitungen.

Damit Schulen sicherer werden, fordert der VBE, dlh-Fachbereich Grund-Stadtteil-Sonderschulen, konsequenten Infektions- und Arbeitsschutz, andernfalls starten Schulen und Kitas in den ungeschützten Betrieb.

o   Abstand von 1,50 m muss in jedem Unterricht – auch im Wechselbetrieb, in allen Förder-, Kurs- und Lernangeboten am Vor- und Nachmittag gewährleistet sein.

o   Maskenpflicht und gute Belüftung aller Arbeitsbereiche sind unabdingbar für den Gesundheitsschutz aller Schüler und Mitarbeiter!

o   Es sind geeignete Atemschutzmasken in ausreichender Menge vorzuhalten.

o   Schulbegleitungen, Therapeuten und Kursleiter im Ganztag dürfen bei der Versorgung und kostenlosen Testmöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden.

o   Mehrmalige Reinigung der Sanitäranlagen und WCs am Tag. Insbesondere an Standorten mit besonderen Förderbedarfen sind dringend Hygienestandards den pflegerischen und therapeutischen Notwendigkeiten anzupassen.

o   AHA-Regeln und Hygienevorschriften müssen ebenso im Schulbustransfer und in der Behindertenbeförderung eingehalten werden wie auf dem Schulgelände.

o   Die Gesundheitsrisiken für Lehrkräfte und besonders gefährdeter Personen-gruppen (z. B.: beeinträchtigte Kinder, Schul-/Lernbegleitungen und PTFs an Schwer- und Brennpunkt-Schulen) sind erheblich, daher fordern wir kostenlose Tests und priorisierten Impfschutz für diese Personengruppen.

Herausforderungen annehmen und Perspektiven entwickeln

Die Pandemielage entspannt sich keineswegs und könnte sich durch hochinfektiöse Virusmutanten noch verschärfen. Auch Hamburger Schulen müssen zum Jahreswechsel Kontakte deutlicher minimieren und konsequenter zum Infektionsschutz beitragen. Viel steht auf dem Spiel und intransparentes, unterschiedliches Vorgehen führt nachweislich zu Nachlässigkeiten. Wir dürfen wertvolle pädagogische Erfolge im Hamburger Schul-alltag, Lernfortschritte bei benachteiligten Kindern, Schullaufbahnen und Gesundheit aller Beteiligten nicht gefährden. Wir fordern daher:

o   Verbindliche Rahmenbedingungen, konsequente Ausbruchsanalysen bei Infektionsfällen durch Gesundheits- und Bezirksämter.

o   Schulleitungen und Kollegien müssen entlastet werden und sollten nicht zusätzlich bei der Rückverfolgung von Infektionsketten vor- oder zwischengeschaltet werden.

o   Schul-Gesundheitsfachkräfte müssen eingestellt werden, nicht nur an Schwerpunkt- und Förderschulen. Eine alte Forderung des VBE in einem gemeinsamen Schreiben mit dem BVKJ (Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte, 2017).

o   Notbetrieb darf nicht zum Regelbetrieb werden! Seit Januar müssen Schulen den Regelbetrieb einstellen und einem zweiten Lockdown folgen. Erwünschte Effekte Kontakt-, Mobilitätsreduzierung und Inzidenzwerte <50 werden unmöglich, wenn täglich 30 – 50 % der Grundschüler beschult und ganztags betreut werden.

o   Abschluss-Klassen an Stadtteilschulen und Gymnasien berichten im Januar 2021 von 70-90 % Präsenzbetrieb. Schulleiter betonen, dass Schüler ohne Ängste und Sorge in die Prüfungen gehen müssen, andernfalls dürften diese nicht stattfinden.

Standortgerechte Lösungen, einheitliche und rechtssichere KMK-Beschlüsse

Schulen brauchen Handlungsspielräume und klare Vorgaben, wie Leistungen, die unter Corona-Bedingungen erbracht wurden, zu bewerten sind. Gleichzeitig muss vor dem Hintergrund bevorstehender Abschlussprüfungen über inhaltliche Entlastungen und Bewertungskriterien nachgedacht werden. Schüler- und Eltern-Vertreter diskutieren, auf Klassenarbeiten und einzelne Prüfungen zu verzichten oder ein freiwilliges Wiederholungsjahr anzubieten. Offensichtlich scheut sich die Behörde dringende Fragestellungen wie Leistungsnachweise, „Hausaufgabenerlass“, Fehlzeiten durch Lockdown, Quarantäne oder Absentismus, Entlastungen im Bildungsplan usw. anzugehen.

o   Wir fordern, dass rechtliche Fragen umgehend vor dem Schulstart nach dem 2. Lockdown und beginnenden Prüfungen geklärt werden,

o   eine bundesweite Anerkennung der erworbenen Schulabschlüsse. Ein Corona-Makel muss tunlichst vermieden werden!

o   Schüler*innen sollten auch in Hamburg eine Möglichkeit zum Wiederholen – ohne Anrechnung – bekommen. „Sitzen-bleiben“ ist der Maßnahme „Fördern statt wiederholen (FöWi) gewichen. Wiederholen bedarf eines gesonderten Genehmigungsverfahrens. Diese Optionen müssen vorab geprüft werden!

o   Lehrkräfte können grundsätzlich Leistungen und Kompetenzerwerb ihrer Schüler bei dem hohen Maß an Individualisierung und Differenzierung bewerten. Dazu sind sie auch in Corona-Zeiten in der Lage, sofern rechtliche Fragen geklärt sind.

Kollegien und Schulleitungen haben erhebliche Vor- und Mehrarbeit geleistet, um ihre Klassen und sehr oft deren Eltern auf unterschiedliche Unterrichtsszenarien und digitales Lernen vorzubereiten. Nun muss die Behörde liefern. Eine besondere Problematik stellt sich für Neunt- und Zehnt-Klässler, Berufsschüler sowie Abiturienten dar. Sie sollen trotz bundesweiter verschärfter Corona-Regeln die Schule besuchen. Geteilte Klassen, Wechselunterricht oder besonderer Infektionsschutz sind aber für diese Altersgruppen nicht vorgesehen. Dieses Vorgehen ist nicht mehr vermittelbar! Es bedarf eines besonderen Hygienekonzepts der jeweiligen Schulen.

Seit knapp einem Jahr haben ältere Schüler mit erheblichen Schwierigkeiten zwischen Quarantänemaßnahmen und Homeschooling, Fern- und Präsenzunterricht zu kämpfen. Schüler und Lehrer fragen gleichermaßen: Wie können Lerninhalte in deutlich verkürzter Lernzeit vermittelt werden? Es fehlen klare und rechtssichere Regelungen für den Lern-umfang und Abschlussprüfungen. Eltern schildern Überforderung, Benachteiligungen und befürchten schlechtere Schulabschlüsse für ihre Kinder. Alleinige Patentrezepte wie „Offene Schule oder digitaler Unterricht“ sind keine Garanten für Bildungsgerechtigkeit und Lernerfolg!

Belastungen für Kollegien und Schulleitungen

Damit Schulen „offen blieben und Familien entlastet“ werden konnten, haben Lehrkräfte in den vergangenen elf Monaten sehr viel geleistet. Lerninhalte wurden doppelt vorbereitet - für Präsenz und unterschiedliche Lockdown-Szenarien. Zusätzlich wurden Schüler und Schülerinnen parallel in der Quarantäne mit Extra-Material versorgt. Hinzu kommen erhebliche Dokumentations- und Kommunikationspflichten schulintern und extern.

Schulleitungen und Kollegien haben Hygienepläne und Konzepte für veränderte Abläufe in Unterricht und Ganztag unter Corona entwickelt (vom Wegenetz, Bustransfer, Kohorten-Einteilungen, Neugewinnung von Lern- und Schulbegleitungen nach dem ersten Lockdown, Einrichten diverser Lernplattformen, usw. bis zur wöchentlichen Rückverfolgung von Infektionsketten). Elternarbeit, technischer Support für jeden Schüler und deren Familien nahmen dabei großen Raum ein. Es wurden Fortbildungen besucht, sich um digitale Infrastruktur zuhause und im Klassenraum gekümmert.

Kollegien haben sich intensiv auf diverse Szenarien vorbereitet, dafür wurden unterschiedliche Bewertungskriterien entwickelt und Rückmelde-Formate erarbeitet. All das wurde on top, bei extrem erschwerten Arbeitsbedingungen und hohem Krankheitsstand geleistet. Familien und Eltern haben erfahren, dass schulisches Lernen ein wertvolles Gut ist und täglich viel pädagogisches Geschick erfordert. Guter Unterricht ist eben ein „großes Mehr“ als bloßer Videounterricht oder Live-Stream aus dem Klassenraum. Schulen und Lehrkräfte sind nicht unvorbereitet, sondern brauchen dringend angepasste Handlungsspielräume und das Vertrauen ihrer Vorgesetzten.

Nach elf Monaten gibt es weder funktionierende Verzahnung von Präsenz- und Distanz-unterricht noch verlässliche digitale Lernprogramme. Diese Problematik setzt sich im zweiten Corona-Lockdown fort: Gleich in mehreren Bundesländern gibt es erhebliche Netzprobleme, die Online-Lernplattformen von Kultusministerien sind deutlich überlastet und es mangelt an ausreichend geeigneten Endgeräten. Zudem fehlen noch didaktisch angepasste Konzepte für individualisierten und inklusiven Fern-Unterricht, Erfahrungen zur Wirksamkeit und die Verzahnung mit analogem Regelbetrieb. Diese Aufgaben würden erleichtert, wenn folgende Gelingensbedingungen an Grund- und Stadtteilschulen geschaffen werden:

o   Schulen müssen optimal ausgestattet werden. Dies bedeutet mobile Endgeräte für Lehrer und Schüler, funktionierende Plattformen und stabiles Internet.

o   Schulen brauchen zusätzliche personale Kompetenz über WAZ oder Honorarmittel zur Wartung der schulischen Infrastruktur und Endgeräte.

o   Bildungsnachteile insbesondere in Brennpunkten und sozial schwachen Bezirken müssen durch gezielte Maßnahmen vermieden werden, Lernferien allein sind nicht ausreichend.

o   Folglich müssen schon jetzt ausreichend Mittel und Lehrpersonal zur Verfügung gestellt werden, damit benachteiligte Schüler die nötige Unterstützung, ggf. Förderung, erhalten, um Corona-Defizite im laufenden und kommenden Schuljahr kompensieren zu können.

o   Medien- und digitale Kompetenz sind bedeutsam für das schulische Lernen. Das kann nicht allein im Hauptfachunterricht oder von Klassenleitungen geleistet werden, sondern muss Berücksichtigung in den Stundentafeln finden.

o   Die Anwendung unterschiedlicher Plattformen und digitaler Lern-Software muss eingeübt werden, auch Grundschüler müssen frühzeitig und altersgemäß neue Medien kennenlernen.

o   Eltern sind umfänglich einzubinden (Transparenz, Schulgremien und Elternrat als Mittler nutzen; Übersetzer + sprachlich stark vereinfachte Elternpost sind hilfreich!). Technischer Support für Eltern in Brennpunkten scheint teils dringlicher als für Schüler.

o   Eltern muss „Hol- und Bringschuld“ von Materialien und technischen Notwendigkeiten verdeutlicht werden (Verbindlichkeiten schaffen!).

o   Es werden Absprachen, Bündelung und Entlastung für zeitintensive, wachsende Organisations- und Kommunikationsstrukturen im System Schule nötig, um den vielfältigen Herausforderungen begegnen zu können. Fortbildungen allein und stabile Schulplattformen werden nicht ausreichen. 

Transparenz – Expertise und Ehrlichkeit

Mit kurzfristigen Ankündigungen wie am 14.12.2020 hatten Lehrkräfte u. Schulleitungen keine Möglichkeit, adäquat zu reagieren. Unmöglich konnten sie Eltern und Schüler angemessen informieren oder in Entscheidungsprozesse einbinden. So wurde auch vertrauensvolle Elternarbeit belastet und pädagogische Erfolge gefährdet. Für die Bewältigung dieser Pandemie ist ein lösungsorientierter und offener Umgang vonnöten! Um den Schulbetrieb aufrechterhalten zu können und erneute Schulschließungen zu vermeiden, brauchen wir Expertise und Weitsicht. Andererseits müssen Kollegien und Schulleitungen bestmöglich unterstützt werden, denn ihre Belastungsgrenzen und gesundheitlichen Risiken sind bei Weitem erreicht.

Wohlgemerkt in dieser schweren Krise für Gesellschaft, Wirtschaft und Bildung sind Aktionismus, populistische Vereinfachungen oder machtpolitische Streitereien fehl am Platze! Daher warnen wir vor einer übereilten Rückkehr zum Präsenz- und Regelbetrieb, wenn nicht oben genannte Mindestanforderungen zum Gesundheits- und Arbeitsschutz für alle Beteiligten erfüllt sind.

Gefragt sind: Expertise, Prioritäten und Fürsorge zum Wohle aller Beteiligten. Hybrid-Unterricht, geteilte Klassen, konsequente Hygienestandards, adäquate und standortgerechte Lösungen helfen Schulen schneller zu öffnen und sicherer zu machen.